Lecture am 18. September in Frankfurt, Kunstverein Familie Montez – by gaukler (Fortsetzung von Teil 1)
Sinn für Herrschaft
Gehen wir mit der Diagnose einen Schritt weiter, und verfolgen die Pharmaka der Technik. Sie zielen auf die Dynamik von Leben und Regimen über Technologien.
Gewöhnlich geben wir uns pragmatisch zu anstehenden Projekten, rezipieren aber bloß Ausschnitte des Geschehens, nehmen nur lokalen Druck und die Ticks von Erregung wahr, vielleicht mit einem ständigen Hauch von Angst. Heute lebt es sich unter einer pragmatischen Ideologie, die unsere unzähligen Projekte und deren kurzen Horizont feiert. Wir fahren ganz realistisch Schmalspur, aber es fehlt ein angemessener „Sinn für Herrschaft“, der über isolierte Wahrnehmungen einzelner Machteffekte oder allgemeine Stimmungen hinausreicht.
Sinn für Herrschaft meint Sinn für Resonanzen zwischen Beteiligten und Abläufen, Techniken der Lebensweisen, die sie laufend implementieren, beispielsweise in den vielen winzigen Apps der vielen winzigen Geräte. Sie fügen sich als das Spektrum „abstrakter Macht“ zusammen, mit deren schillernden Wirkungsweisen so viel Verständnisschwierigkeiten kommen.
Einige ihrer praktischen Methoden wurden bereits angerissen, weit reichende Mechanismen und Prinzipien gilt es zu ergänzen. Besonders gilt es, Sensibilität für den getriebenen Umbau, die permanente Obsoleszenz von Lebensbedingungen zu aktualisieren.
Jedoch haben wir mit diesem Sinn ein grundsätzliches Problem, gerade als einzelne im dichten Gewusel: ihn zu trainieren fehlt meist schlicht die Zeit zwischen den Projekten. Denn Sinn für Herrschaft findet sich nicht leicht auf der Strasse oder vor dem Schirm, und ausserdem gibt es noch viel Vergnüglicheres als sich diesem seltsamen Gespür zu widmen.
Um ihm für unser Panorama auf die Sprünge zu helfen, können wir die Einsichten provisorisch weiter verweben. Sie betreffen Praktiken auf verschiedenen Ebenen der smarten Projekte, besonders genau das, was obsoleszent und experimentell in ihnen, sowie das, was pharmakologisch hinter ihnen arbeitet, d. h. wie welche Probleme gelöst werden. Insbesondere betreffen sie Ressourcen, mit denen soziale Physik realisiert wird, die von Ferne die Lebensweisen moduliert.
Macht in sozialer Physik
Soziale Physik verweilt nicht einfach in den Big Data Servern, den Metadaten über Kunden und Nutzer. Sie regelt auf elektronischen wie anderen physikalischen Ebenen die Betriebe, die Märkte, die Sicherheit. Ihr Lösungen funktionieren in Algorithmen für Produktionsplanung, Bestellwesen und Lieferketten, in Risikoabschätzungen für Kredite ebenso wie für Unfälle.